Mit dem Fahrrad auf den Spuren von Günter Grass

Genau der richtige Tag für die „Tour de Grass“: Die Sonne scheint und draußen vor den Toren Lübecks leuchtet der Raps. Wir, mein Mann und ich, begleiten heute am 1. Mai Julia Wittmer, die digitale Kuratorin der „Tour de Grass“-App. Sie testet die Betaversion der neuen App auf den Spuren des Literaturnobelpreisträgers und auch langjährigen Freundes des „Klassik Altstadt Hotels“, dem in unserem Haus in der Fischergrube 52 die Suite gewidmet ist.

Start der Tour am Grass-Haus in der Lübecker Altstadt

Start in Lübeck – Tour de Grass

Treffpunkt und Start der 46 Kilometer langen „Tour de Grass“ von Lübeck nach Mölln ist das Grass-Haus in der Glockengießerstraße 21. Auf der Altstadtinsel müssen wir erstmal die Räder bis zur Marienkirche schieben. Hier ist unsere zweite Station. Der Aufbau der „Tour de Grass“-App zeigt uns nicht nur den Streckenverlauf, sondern hält auch an bestimmten Wegpunkten, die mit Günter Grass in Verbindung gebracht werden, weitere Fakten, Erinnerungsstücke, Geschichten und auch regionale Informationen bereit. Durch das Lösen von verschiedenen Aufgaben mit Hilfe von Augmented Reality (AR) können wir sogenannte „Fundsachen“ virtuell sammeln, die uns neben weiteren Geschichten und Gedichten auf das nächste „Level“ bringen. Ziel ist es, am Ende der Tour vom „Schüler“ zum „Nobelpreisträger“ aufzusteigen.

Ich scanne das Teufelchen vor der Marienkirche mit meinem Handy und erlebe virtuell einen Rundgang durch die geschlossene Mutterkirche der Backsteingotik. Nebenbei wird uns gezeigt, dass in einer Kapelle im hinteren Teil der Kirche ein dreiteiliges Bild von Günter Grass mit dem Motiv Golgatha hängt. Es sei Ausdruck seiner Auseinandersetzung mit dem Thema Waldsterben. Mit Hilfe des „AR“ Portals der App werfe ich einen Blick auf das moderne Triptychon.

Und als erste Fundsache erhalte ich „Totes Holz“ – Schauspielerin Katharina Thalbach liest das Gedicht von Grass aus Totes Holz 1990 „Die Wolke als Faust überm Wald. Ein Nachruf“.

Vor dem Hause Niederegger erfahren wir, dass das berühmte Marzipan-Café Günter Grass inspiriert hat, seine „Vision“ eines multikulturellen und friedlichen Miteinanders in einem Gedicht niederzuschreiben. In seinem Text diskutieren in lockerer Runde „türkische Herren“ mit dem Lübecker Anarchisten Erich Mühsam und dem Schriftsteller Thomas Mann.

Das Sammelstück, welches ich an dieser Stelle von der App bekomme, heißt „Fremde“ –  Günter Grass liest das Gedicht „Vision“ vor. Und ich bekomme einen wunderbaren Einblick, worüber bei „orientalischen Süßigkeiten“ und „gurgelnden Wasserpfeifen“ so geplaudert wird.

Auf dem Fahrrad in Richtung Mölln

Jetzt aber endlich aufs Rad! Raus aufs Land bis zur Eulenspiegelstadt Mölln immer am Wasser entlang. Ich kann es kaum erwarten, die Heimatlandschaft des Künstlers Günter Grass entlang der blauen Ader des Herzogtums Lauenburg zu genießen. Wie gut die Frühlingsluft tut! Nun spüre ich auch die Magie, die den Künstler beflügelt hat, hier zu werkeln. Wir sehen die ersten blühenden Rapsfelder am Wegesrand und mir fällt sein Gedicht ein zur Rapsblüte: „Normaler Wahnsinn, der sich sonst und alltäglich grau in grau kleidet, tritt nun flächig in Farbe auf“.

Raps am Elbe-Lübeck-Kanal

Boote kreuzen auf dem Elbe-Lübeck-Kanal. Wir passieren den alten Stecknitzarm. An der Skulpturengruppe „Fisch im Kopf“, die an die historische Nutzung des ehemaligen Kanals erinnern soll, der 1900 durch den Elbe- Lübeck-Kanal ersetzt wurde, lernen wir einiges über die Salzstraße der Hanse. Zum Beispiel, dass 1398 erstmals Salz mit Schiffen aus dem ersten künstlich angelegten Wasserweg Nordeuropas, dem Stecknitzkanal, von Lüneburg nach Lübeck transportiert wurde.

Natürlich gibt es hier wieder ein Sammelstück von der Grass-App „Salz“. – Der erste Satz in Grass´s Roman „Der Butt“ – „Illsebill salzte nach“ gewann übrigens den Hauptpreis für „der schönste erste Satz“.

Vor dem idyllischen Dorf Berkenthien bei der Berkenthiener Schleuse, etwa nach 15,6 Fahrrad-Kilometern, gönnen wir uns vor der Skulptur „Kanalhering“ von Tim Adam ein kleines Picknick. Gehört in Corona-Zeiten unbedingt in die Packtaschen, denn man weiß ja nie, ob alle Lokale geöffnet sind! 

Natürlich gibt es hier auch einen Beitrag. Wir lauschen Katharina Thalbach „Genau hingucken. Zum Tod des Bildhauers Karl Hartung“ – von Günter Grass.  Er erzählt über einen Vorfall im Sommer 1956, als er ein Pfund grüne Heringe in der Bratpfanne vorbereitete.

Salzprahm

Es folgen weitere interessante Stationen wie Salzprahm – wo wir wieder mit Hilfe von AR ein Plattbodenschiff virtuell nachbauen könnten, mit dem vor 500 Jahren Salz nach Lübeck transportiert wurde.

Mein persönliches Highlight ist definitiv die Station Behlendorf im Herzogtum Lauenburg. Hier wohnte der Literaturnobelpreisträger Günter Grass die letzten 30 Jahre seines Lebens mit seiner Ehefrau Ute. 

Links und rechts erstrecken sich Felder, grasen Schafe und Kühe auf weiten Wiesen. Wir entdecken sogar ein belegtes Storchennest. Landidylle pur. Über die Schleuse von Behlendorf als eine von insgesamt sieben Schleusen, die den Höhenunterschied von 12 Metern zwischen der Trave bei Lübeck und der Elbe bei Lauenburg überbrücken – lernen wir viel Wissenswertes aus der App.

 Der lange Aufstieg vom Elbe–Lübeck-Kanal hoch nach Behlendorf lohnt sich auf jeden Fall…allerdings hätte ich die steile Erhöhung ohne die Hilfe meines E-Bikes nicht geschafft.

Die Station „Garten“ , wo mithilfe von AR nachvollzogen werden kann, wie Günter Grass mit seiner Staffelei samt Aquarellfarben diese atemberaubende Landschaft – im Vordergrund die Obstwiese mit Äpfeln, Birnen und einem großen Nussbaum – mit raschen Pinselstrichen festgehalten hat , war diesmal leider nicht aktiv.

Ich bin fasziniert, wie gegenwärtig Günter Grass noch überall in dieser Region ist. Am Behlendorfer See höre ich ein Gedicht, das Günter Grass an genau dieser Stelle geschrieben hat. Intensiver geht es nicht. 

Am Friedhof Behlendorf angekommen nutzen wir die App, um dort die verschlossene Kirche virtuell zu besichtigen. Hier, auf dem Friedhof, haben die Eheleute Grass ihre letzte Ruhe gefunden.

Bevor wir in Mölln ankommen, durchfahren wir einen märchenhaften Wald. Hier steht auch die von Grass so oft gezeichnete Hudeeiche, die über 350 Jahre alt ist.

Glücklich und zufrieden erreichen wir schließlich den Möllner Bahnhof, wo wir dann in den Zug einsteigen. Er hält stündlich in Mölln, um in nur 35 Minuten nach Lübeck bequem zurück zu fahren. 

Wir bleiben gespannt, wie die endgültige Fassung der App funktionieren wird. Natürlich gibt es noch einige Stationen mehr, die wir allerdings Ihrer eigenen Erfahrung vorbehalten.

Fazit: Es war eine interessante und kurzweilige Fahrradtour

Auf unserer Entdeckungstour mit dem E-Bike entlang des Elbe –Lübeck-Kanals durch den Naturpark Lauenburgische Seen habe ich wieder vieles über Günter Grass und die ländliche Umgebung erfahren.

Sehr zu empfehlen, sowohl für Günter-Grass-Fans als auch für Naturliebhaber. Die neue App „Tour de Grass“ bietet Fahrradfahrern eine herrliche Art, das künstlerische Erbe von Günter Grass in dieser Region zu erleben. Die Fahrradtour von Lübeck bis Mölln durch das Stecknitztal ist schon selbst ein Vergnügen. Durch die App nimmt man das Museum so zu sagen mit – das ist eine Ausstellung vor Ort. Man ist draußen an der frischen Luft und erfährt und lernt viel über die Region und den Künstler Günter Grass. Es ist eine Freude, durch seine Augen auf die Welt, in der er gelebt hat, zu schauen. Seine gewählte Heimat näher kennen zu lernen und seine Kunst im Kontext mit den Entstehungsorten zu erleben und nachzufühlen, das hat mich sehr beeindruckt.

Dadurch inspiriert, habe ich am nächsten Tag seine Werke im Günter-Grass-Haus erneut angeschaut und mit ganz anderen Augen gesehen.


Wichtige Infos: Die gesamte „Tour de Grass“ ist 46 km lang, der Streckenverlauf teilweise unebenes, hügeliges und nicht asphaltiertes Gelände.

Sie sollten mindestens 6 bis 8 Stunden einplanen, wenn Sie die „Tour de Grass“-App mit all seinen Funktionen und Stationen auf der Strecke komplett nutzen möchten. Die App „Tour de Grass sollten Sie vorher komplett herunterladen.

Die Betaversion funktioniert bereits auf Android und IPhone, zieht allerdings viel Strom. Unbedingt ein extra Powerpack mitnehmen!

Links:
Günter Grass Suite bei uns im Klassik Altstadt Hotel
Infos für Radreisende
Download der App

Viel Spaß!